Vietnam: Der Kampf um das „Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit“ Teil 2.1

Mit dem Sieg über die Franzosen und dem, in gewisser Hinsicht unbefriedigenden, Ergebnis der Indochina-Abkommen lässt sich der Anfang der „amerikanischen Periode“ des vietnamesischen Befreiungskampfes markieren. Vorab noch ein Wort zu dem Problem gut dokumentierte Fakten und tradierte Bilder, die USA betreffend, bei diesem Thema zusammenzubringen: Es regt sich ein gewisser Widerstand, aller Belege zum Trotz, die USA – die mit der Sowjetunion gemeinsam – schließlich Europa von der Nazi-Herrschaft befreit hatten, nun als kriegsverbrecherischen Akteur in einem menschenverachtenden und ausschließlich ideologisch motiverten Krieg wahrzunehmen. Diese beiden Seiten der Medaille sind, schwer zusammenzubringen aber Bestandteil der Geschichte. Auf die Verwicklungen der bundesdeutschen Wirtschaft (insbesondere des IG-Farben-Nachfolgers Höchst) in den Krieg gegen die Vietnamesen wird noch einzugehen sein. Da die verschiedenen relevanten thematischen Bereich, die zum Komplex des Krieges gehören, nicht alle gleichzeitig in chronologischer Reihenfolge dargestellt werden können, untergliedert sich der inhaltlich zweite Teil in weitere Unterkapitel. Im Teil 2.1 wird der Beginn der Diệm-Herrschaft im Süden und der damit verbundene Aufbau des Widerstandes gegen das Regime erörtert. Hieran anknüpfend folgte die Intervention der USA im Süden und schließlich auch der Luftkrieg gegen den nordvietnamesischen Staat. Mit diesem ersten Bestandteil wäre etwa ein Zeitraum zwischen 1954 und 1965 dargestellt. Die Zeit bis zum Kriegsende 1975 folgt dann im Teil 2.2 des Artikels und wird sich dann insbesondere mit den Kriegsverbrechen, etwa am Beispiel Mỹ Lai / Sơn Mỹ, dem Giftgaseinsatz und dem Protest und Widerstand gegen den Krieg beschäftigen.

Teil 2.1

Mit der Intervention der USA begann gleichzeitig eine Brutalisierung des täglichen Lebens im Süden und dann mit den offensichtlichen Kriegshandlungen auch eine Brutalisierung des Krieges, die mit großflächigen Bombardements und Gifteinsatz einen großen Teil der vietnamesischen Bevölkerung betraf. Das zweigeteilte Land war in verschiedener Weise und Etappen von den Entwicklungen nach 1954 betroffen. Während für die Demokratische Republik Vietnam (DRV) im Norden der Krieg erst mit den US-amerikanischen Luftangriffen 1964 begann, verschärfte sich die Lage für die Bevölkerung der Republik Südvietnam (RSV) im Süden bereits mit dem Machtantritt von Ngô Đình Diệm.

Zugegebenermaßen scheint die wesentliche politische Entwicklung in Südvietnam nach 1954 zunächst etwas undurchsichtig, insbesondere wenn man die Vereinbarungen der Genfer Abkommen als Wegweiser für eine mögliche Entwicklung heranzieht. Dort waren für das Jahr 1956 freie und geheime Wahlen für ganz Vietnam vorgesehen. Die KP mit ihrem Vorsitzenden Hồ Chí Minh hätte diese vermutlich auch gewonnen (vgl. Feldbauer S.26, der die New York Herald Tribune des Jahres 1955 zitiert), da die kommunistische Idee großen Anklang in der Bevölkerung fand. Ngô Đình Diệm, der nach 1945 in die USA emigriert war und sich dort als Antikommunist bei der politischen Elite hervortat, wurde schließlich von den USA zunächst als Präsident eingesetzt – anders lässt sich dieser Vorgang kaum bezeichnen – und in manipulierten Wahlen 1955 – mit zum Teil 135% Zustimmung – zum Präsidenten gewählt.

Dieses Vorgehen war möglich, da die USA mit dem SEATO (dem Pendant zur NATO) Vietnam bereits 1954 zu ihrem „Schutzgebiet“ erklärt hatten. Das autoritäre Diêm-Regime rief von Beginn an Widerstand hervor und bereits 1955 waren etwa 50.000 Menschen wegen des Verdachtes auf oppositionelle Tätigkeiten (!) inhaftiert. Das Regime stützte sich auf die reaktionäre katholische Minderheit des Kleinbürgertums, die Großgrundbesitzer und nicht zuletzt auf seine – durch US-Gelder subventionierten – Bajonette.

Es ging den verschiedenen US-Administrationen also bei ihrer Intervention von Beginn an um die Zerschlagung jeglicher Befreiungsbewegung und insbesondere darum die ideologische Vorherrschaft in Asien zu sichern:

„Einschätzungen von Experten aus dem Pentagon zufolge musste Südvietnam militärisch unterstützt werden, damit es nicht als wiedervereinigtes Vietnam an den kommunistischen Machtblock unter Hegemonie der Sowjetunion fallen und als erster von vielen ‚umstürzenden Dominios‘ noch weitere asiatische Länder zu Fall bringen würde.“ (Margara, 2012. S.13)

Diese Unterstützung beinhaltete zunächst den Aufbau von 46 Stützpunkten der US-Army in Südvietnam, von denen Sài Gòn und Đà Nẵng die bedeutendsten waren. In Südostasien hatten die USA insgesamt etwa 220.000 Soldaten stationiert, durch die SEATO war ein Bündnissystem zustande gekommen, welches die US-Streitkräfte später unterstützen sollte, die eigenen Truppen und Polizeieinheiten der südvietnamesischen Diktatur waren 1963 auf 500.000 angewachsen. Der Unterdrückungsapparat verfolgte nicht nur vermeintliche Sozialisten oder Kommunisten und Menschen die die Einhaltung der Genfer Abkommen einforderten (wie etwa zahllose Intellektuelle, die sich im „Saigoner Friedenskomitee“ engagierten), sondern auch Vietnamesen, die gegen die Franzosen gekämpft hatten wurden verfolgt und mit zunehmender Schärfe auch Buddhisten. Aus den unterschiedlichsten Strömungen des Widerstandes formte sich 1960 die nationale Befreiungsbewegung FNL (Front national de Libération) in der die Kommunisten – im Gegensatz zum durch die USA propagierten Bild der „Vietcong“ – eine Minderheit darstellten. Die erklärten Hauptziele der FNL orientierten sich an den Genfer Abkommen und beinhalteten den Aufbau eines unabhängigen, demokratischen, südvietnamesischen Staates und die Normalisierung der Beziehungen zu Nordvietnam mit der Perspektive auf eine „friedliche Wiedervereinigung“.

Erst mit dem Verlust vieler Mitglieder durch den Folterapparat des Diệm-Regimes entschloss sich die FNL 1961 zum bewaffneten Widerstand als eine nationale Befreiungsarmee. Gegen die FNL wurde bereits im August 1961 das erste Mal das Giftgas „Agent Orange“ eingesetzt, das in den USA zu diesem Zeitpunkt als Herbizid, wegen seiner verheerenden Wirkung auf Mensch und Umwelt, bereits verboten war.

Die Befreiungsarmee wurde ab 1963 auch durch die Demokratische Republik Vietnam unterstützt. Dies hatte für die Bevölkerung im Allgemeinen erneute Repressionen zufolge, jedoch war auch in diesem Klima überhaupt erst eine breitere Protestbewegung ermöglicht worden. Im Juni 1963 verbrannte sich der Mönch Thích Quảng Đức aus Protest gegen die Unterdrückung, diese Bilder gingen um die Welt und machten den Menschen über die Medien erstmals bewusst, dass es in Südvietnam eine „politische Schieflage“ gab. Bei anschließenden Massendemonstrationen in Huế eröffnete die Regierungsarmee das Feuer und tötete sieben Menschen. Es kam zu weiteren Demonstrationen, als Konsequenz verhängte Ngô Đình Diệm das Kriegsrecht bevor es nach weiteren Selbstverbrennungen von Mönchen und Nonnen zu einem Militärputsch kam, bei dem auch Ngô Đình Diệm umgebracht wurde.

Da die Regierungsarmee der Militärdiktatur es nicht vermochte dem, inzwischen auch durch Nordvietnam unterstützten, Widerstand der FNL und der Befreiungsarmee Einhalt zu gebieten, griffen die USA ab 30. Juli 1964 auch die DRV im Norden an. Tatsächlich folgte die Kriegseskalation einem Plan, dem zur Rechtfertigung des Kriegseinsatzes der US-Streitkräfte im gesamten Vietnam vor der Öffentlichkeit die sogenannte „Tonking-Provokation“ voraus ging. US-Kriegsschiffe griffen zur DRV gehörende Inseln im Golf von Tonking an, gegenüber der Öffentlichkeit wurde dies jedoch so dargestellt, dass Nordvietnam die Kriegsschiffe der USA in internationalen Gewässern angegriffen habe und man sich seitens der USA lediglich verteidigt habe. In einer Senatsuntersuchung im Jahr 1968 wurde aufgedeckt, dass die verdrehte Darstellung beabsichtigt war um einen Luftkrieg gegen Nordvietnam zu rechtfertigen, der ohne offizielle Kriegserklärung und völkerrechtswidrig erfolgte. Nach Feldbauer enthüllte der Spiegel bereits Ende 1965, dass der Krieg seitens der US-Strategen von Beginn an nicht allein gegen militärische Ziele gerichtet war. In einer ersten Stufe sollten tatsächlich militärische Ziele angegriffen werden, in der zweiten Stufe sollten Infrastruktur und Schwerindustrie zerstört und schließlich in der dritten Stufe der Großraum Hà Nội bombardiert werden. D.h. erklärtes Ziel der dritten Stufe war bereits allein die Ermordung der Zivilbevölkerung. Für diese Ziele wurden zwischen 1965 und 1968 knapp 2,6 mio. Tonnen (!) Bomben abgeworfen: „Das war eine weit größere Menge als die USA insgesamt während des Zweiten Weltkrieges eingesetzt hatten.“ (S. 48). Insgesamt waren unter den Kriegszerstörungen in Nordvietnam nur 12 Prozent militärischer Ziele gewesen. Ab 1965 konnte der nordvietnamesische Staat auf MiG 21 Jagdflugzeuge aus der Sowjetunion zu seiner Verteidigung zugreifen, mit der besseren Ausstattung zur Abwehr konnten noch höhere Opferzahlen in der Bevölkerung vermieden werden. Der Vorschlag aus den Blockstaaten eine Art „Internationale Brigaden“, mit Freiwilligen wie im spanischen Bürgerkrieg, ins Leben zu rufen wurde von der Staatsführung der DRV jedoch mehrfach abgelehnt. Die vietnamesischen Piloten wurden in der Sowjetunion ausgebildet und waren in etwa 200 Jagdflugzeugen im Einsatz, demgegenüber stehen über 8000 Jagdflugzeuge und Hubschrauber der US-Airforce, die insgesamt während des Krieges in Vietnam abgeschossen wurden. Über die Anzahl der beim Abschuss getöteten US-Soldaten gibt es bis heute keine verlässlichen Zahlen, ein Umstand der Geheimhaltungspolitik aller kriegsführenden Parteien zuzuschreiben ist. Der Mangel an verlässlichen Zahlen besteht im Übrigen auch für die Gesamtzahl aller vietnamesischen Opfer, gleich ob Zivilbevölkerung oder Soldaten. Die Schätzungen der Opferzahlen aller Beteiligten reichen von 1,5 bis 6 Mio., wobei davon auszugehen ist, dass die niedrigeren Angaben die Opfer von Folter und Gifteinsatz, die erst nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen gestorben bzw. geboren sind nicht berücksichtigen. Vielfach, als objektive und neutrale Quelle, zitiert wird der US-amerikanische Historiker Rudolph Rummel, dessen Perspektive auf die Geschehnisse allerdings nicht „neutral“ sondern problematisch ist, da er selbst in 1960er Jahren Militärberater der US-Streitkräfte war. Schließlich stellten die USA im November 1968 die Luftangriffe auf Nordvietnam ein um sie, mit der dann drohenden Niederlage im Süden, schließlich Dezember 1972 fortzusetzen wobei die Hafenstadt Hải Phòng fast völlig zerstört wurde. Endgültig eingestellt wurden die Luftangriffe schließlich 1973.

Literatur:

Gerhard Feldbauer: „Vietnamkrieg“ Köln, 2013. PapyRossa-Verlag.

Ly Ba Toan et. al.: „Hoa Lo Prison. Historical Relic“ Hanoi, 2013. Hongduc Publishing House.

Andreas Margara: „Der Amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam.“ Berlin, 2012. regioSpecta-Verlag.

Ein Kommentar zu “Vietnam: Der Kampf um das „Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit“ Teil 2.1

  1. […] der Bevölkerung hoch (die Schätzungen der Opferzahlen belaufen sich auf 1,5 bis 6 Mio. siehe auch Teil 2.1), dennoch wird das Leiden des Einzelnen häufig nicht berücksichtigt und gelangt in Museen, […]

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