Mogu li pitati nešto? – Eine Art Gespräch (mit Zoster)

Es ergab sich die Gelegenheit – vor einem Konzert – der bosnischen Band Zoster ein paar Fragen zu ihrer Musik zu stellen. Ich hatte kein Aufnahmegerät dabei und die Notizen dazu habe ich mir erst nach dem Konzert machen können. Es war auch nicht als „Interview“ geplant, sondern auf dem Weg zum Veranstaltungsort fielen mit etliche Fragen ein, die mich selbst interessierten. Ich habe also nicht Fragen gestellt, wie das ein Journalist vielleicht getan hätte, im Sinne von „was interessiert den Leser“. Was ich hier wiedergebe ist also eher ein Gespräch über Musik.

Mir war schon vorher bewusst, dass die Band auf dem Balkan nicht unbekannt ist und auch in der Diaspora eine Fangemeinde hat. Da mein Bosnisch bisher nicht weit hinreicht, hatte ich bislang auch keine Möglichkeit, auf nicht deutsch- oder englischsprachigen Internetseiten nach weiteren Infos zur Band zu suchen. Das hat sich, meiner Meinung nach, aber nicht als Nachteil erwiesen…

Folglich habe ich mir die Frage gestellt, ob die Bandmitglieder denn von ihrer Musik überhaupt leben können. Mario Knezović, der Sänger der Band, erklärt mir, dass alle noch mindestens ein zweites künstlerisches Projekt haben, sich aber keiner von ihnen in anderen Jobs verdingen müsse. Mario selbst ist auch Schauspieler. Atilla Aksoj, Gitarrist bei Zoster, betreibt ein Tonstudio in Mostar und hat verschiedene weitere musikalische Projekte mit denen er auftritt. Nikola Galić ist bei Zoster Bassist und produziert Musik- und Werbevideos (bspw. auch das von „Gavrilo“ siehe unten) und ist sonst auch als Webdesigner tätig. Die anderen sind etwas schweigsamer und erzählen nicht so viel von sich. Mario ergänzt bei einer Zigarette, dass obwohl inzwischen ja Jahre vergangen sind, man älter geworden ist und vielleicht auch ruhiger und Familie hat, das Reisen mit der Band immer etwas Besonderes sei. Er fühle sich dann wieder wie 18.

Schaut man sich die Bandbreite an Musikstilen an, die Zoster in den letzten 10 Jahren, seit dem Erscheinen ihres ersten Albums „Ojužilo“ (2005), verwendet haben, ist eine deutliche Entwicklung von einem eher Jazz- und Reggae-lastigen beschwingt sorglosem Sound zu einer schwereren Fusion aus New Wave und Rock auf dem aktuellen Album „Srce uzavrelo“ (2014) erkennbar. Live, das hat die Band demonstriert, können sie alles und auch die alten Songs gehen ihnen dabei immer noch leicht und überzeugend von der Hand. Nach dieser Veränderung gefragt, verweist mich Atilla an Mario, der das Songwriting in der Hauptsache betreibt. Ich frage, ob das denn auch etwas mit der persönlichen Entwicklung zu tun habe bzw. mit dem Älterwerden. Mario erklärt mir, dass diese Veränderung irgendwie gewachsen sei, weil sie sich als Band weiterentwickeln wollten und nicht immer nur dieselben Songs mit anderem Text machen wollten. Aber, ja, es habe auch was mit dem veränderten Leben zu tun. Er empfinde es so, wenn man älter werde, dann sei man nicht mehr nur Teil des Rudels, sondern habe auch ein Vergnügen am Alleinsein. Man habe dann so seine Phasen, wo man als einsamer Wolf losziehe und das schlage sich dann in Musik und Texten nieder. Als internationale Einflüsse auf ihre Musik zählt Mario u.a. Johnny Cash, Nick Cave und die Red Hot Chili Peppers in ihrer Funk-Zeit auf.

Dass die Band den Anspruch hat, politische Missstände zu kritisieren, ist ja schon Bestandteil ihrer Gründungsgeschichte. Dennoch wird auch ohne Sprachkenntnisse spätestens mit dem Video zu „Gavrilo“ (einem Song über den Attentäter von Sarajevo Gavrilo Princip) deutlich, dass es sich hier um einen politischen Song handelt. Wichtig ist der Band, so wie ich Atilla verstanden habe, jedoch, dass dabei genug Raum für Assoziation und Interpretation bleibt. Ich frage, ob es sich denn bei dem Song um eine Parabel auf heutigen Nationalismus handelt, die Antwort ist ebenfalls weniger eindeutig: das sei durchaus auch eine Lesart.

Ich frage weiter, was die Beweggründe waren einen Song über Gavrilo Princip zu schreiben. Atilla erklärt, da sich das Attentat und damit ja auch der Erste Weltkrieg im vergangenen Jahr zum 100. Mal gejährt haben, sei das eine Motivation gewesen, das zum Thema zu machen. Er erzählt mir, dass sie aufgrund des Songs eine Einladung des österreichischen Botschafters nach New York zu einer Gedenkveranstaltung bekommen hätten und er mit Mario dort, neben „Gavrilo“, ein paar Songs gespielt habe. Das sei definitiv einer der verrücktesten Auftritte gewesen, den er sich hätte vorstellen können, weil damit niemand gerechnet habe.

Mogu li pitati nešto? – Some kind of conversation

So there was the possibility to – around a gig – to ask the Bosnian band Zoster some questions about their music. I had no equipment to record anything and the notes taken, were written down after the gig. It was not planned as an interview, I rather wanted to ask them some questions that I asked myself concerning their music an musical development. So I was not asking questions like a journalist thinking about what might be interesting for “the reader”. This is rather like the record of a conversation about music.

I knew before, that Zoster are quite popular on the Balkans and have theirs fans in the European diaspora. Because I don’t speak their language, I missed the opportunity to read about them in Bosnian or Serbian or Croatian. But in retrospect it wasn’t really a disadvantage.

So I asked myself if the members of the band are able to make their living from music only. . Mario Knezović, the singer, explained to me, that everyone’s got a second or a third artistic project, so that no one has to do another job to earn enough for living. Mario for example is an actor, too. Atilla Aksoj, the guitarist, has a recording studio in Mostar and is working with different artists in various projects. Nikola Galić, the bassist, is working as a web designer and producer of music clips (e.g. the one for “Gavrilo”) and commercials. Bojan and Goran are more silent and don’t speak much of themselves. Mario, while smoking a cigarette, adds another aspect of being in the band. He says that although years have been passing and all of them have grown older and maybe more settled, travelling with the band still is something special and he feels like being 18 again.

If you look at the scope of the music styles Zoster have been using the last ten years, since publishing „Ojužilo“ in 2005, you can see a development from an elated an carefree jazz- and reggae-sound to a more heavy fusion of new wave and rock you can recognize on the current album “srce uzavrelo” form 2014. The Band showed that live they can play easily and convincing a mixture of all their songs, whether old or new ones. When I asked Atilla how this change happened, he refers to Mario, who’s mainly doing the songwriting. I asked him, if the change is depending on a personal development or with growing older. Mario explains to me, that this change somehow has grown because they wanted to refine as a band and not just play the same kind of songs all the time only changing the lyrics. And he confirms that the change is related to life that changes with growing older, having families and so on. He feels like, if one is growing older, it’s not just only important to be part of the pack but also to enjoy it more to be alone once in a while. So that there are phases to set off as a lone wolf and this is condensed in music and lyrics. As international artists that influenced the band Mario listed Johnny Cash, Nick Cave and the Red Hot Chili Peppers but only the albums with the funk-sound.

Zoster claiming to criticize (political) grievances is just part of their foundation history and even without properly understanding Bosnian language, you can understand – at last by watching the video to “Gavrilo” – that this is a political song (about the assassin of Sarajevo from 1914 Gavrilo Princip). As far as I understood Atilla, it’s important to Zoster, that the songwriting leaves enough space for association and interpretation. I ask if the song is a parable of the contemporary nationalism, and his answer too is less explicit: that is thoroughly one of the possible readings.

So I further ask why they wrote a song about Gavrilo Princip. Atilla explains that last year the assassination and the First World War had their centenary and that this was the first reason to write a song concerning this topic. He tells me that because of this song, Zoster got an invitation from the Austrian ambassador to go to New York to join a memorial and perform that song there. So Mario and him went to New York played “Gavrilo” and a few other songs there. In his opinion that was the craziest gig they ever played because no one expected a thing like that…

Vietnam: Der Kampf um das „Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit“ Teil 2.2

Durch die veränderte Art Berichterstattung, die im Verlaufe des Krieges zunehmend kritischer wurde und über Fernsehbilder auch eine breitere Schicht der Bevölkerung in den USA und Europa erreichte, wurde auch eine Öffentlichkeit für den Widerstand gegen den Krieg ebendort geschaffen. Dieser Abschnitt beschäftigt sich zum einen mit dem öffentlichen Protest gegen den Krieg, dem Widerstand in der Armee, weiterhin den Kriegsverbrechen und schließlich der Endphase des Krieges bis zum Kriegsende 1975. In einem dritten Teil sollen die Auswirkungen des Krieges bis heute und die Erinnerungspolitiken betrachtet werden. Zunächst jedoch soll der Blick auf den öffentlichen Protest gerichtet werden.

Teil 2.2

Bereits im März 1965, mit dem Einsatz der ersten US-amerikanischen Bodentruppen in Südvietnam, gab es schon erste Großdemonstrationen gegen den Krieg in Washington, an denen bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Im April 1967 fanden mit insgesamt knapp einer Million Teilnehmer in New York und San Francisco die größten Antikriegsdemonstrationen statt. Ebenfalls wichtig für die Mobilisierung der Antikriegsbewegung war das sogenannten Russell-Tribunals (nach dem Initiator Bertrand Russell). Im Mai 1967 fand dessen erste Sitzung in Stockholm statt. Zu den Mitorganisatoren gehörten auch Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, auch Peter Weiss war ein Mitglied des Gremiums. Das Tribunal stellte in dieser und seiner zweiten Sitzung im November/Dezember in Roskilde fest, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg und um ein Kriegsverbrechen handelte. Ebenfalls stellte das Tribunal fest, dass fast eine Mio. Hektar Ackerland bis dahin durch Agent Orange verseucht wurden. Bis 1971 wurden 72 Mio. Liter Gift versprüht, von diesem Gifteinsatz waren 17 Mio. Menschen betroffen. Die nachfolgenden Generationen, die davon noch immer betroffen sind, sind in dieser Zahl nicht einmal berücksichtigt. Beteiligt an Giftproduktion waren auch die deutschen Konzerne BASF und der IG-Farben-Nachfolger Farbwerke Höchst. Die Kontinuität der Konzerne über die NS-Zeit hin in die BRD setzte sich auch bei den Zulieferungen und damit der indirekten Beteiligung am Krieg und den Kriegsverbrechen in Vietnam fort. 1965 waren sogar Bundeswehrsoldaten der Luftwaffe gegen die Vietnamesen im Einsatz. Auch verurteilte deutsche Kriegsverbrecher wie Otto Ambros, der durch seine Forschungen bereits an den Morden in Auschwitz beteiligt war, entwickelten für den Einsatz in Vietnam chemische Kampfstoffe weiter. In Zentralvietnam wurden Agent Orange und auch Napalm nahezu flächendeckend eingesetzt, dies hat verheerende Auswirkungen bis heute:

„In der während des Amerikanischen Krieges intensiv umkämpften Provinz Quang Tri, durch die mit dem 17. Breitengrad die ehemalige Trennungslinie zwischen Nord und Süd verläuft, sind noch immer knapp 100.000 Hektar Land von Minen, Bomben und Granaten verseucht. Zwischen 1975 und 2000 sind dort nicht weniger als 8.500 [!] Personen durch Restmunition gestorben – darunter etwa 7.000 Kinder. […] Der Alltag inmitten der verminten Felder von Quang Tri ist demnach weiterhin von den Kriegsfolgen bestimmt und macht die Überwindung der Armut in diesem Gebiet nahezu unmöglich.“ (Margara, S.19)

Das Jahr 1968 ist wohl das mit den meisten Todesopfern unter den US-Soldaten. Bereits zu Beginn des Jahres wurde, mit der Tet-Offensive, der Kampf seitens der FNL auf die Städte ausgeweitet. Es kam zu Straßenkämpfen in Huế und Sài Gòn. Die Offensive war aus Sicht der Befreiungsarmee durchaus erfolgreich, da 14 Stützpunkte der südvietnamesischen Armee kapitulierten. Als Konsequenz aus dem militärischen Erfolg der Befreiungsarmee folgte die erneute Brutalisierung des Bodenkrieges auf südvietnamesischer bzw. US-amerikanischer Seite. Am 16. März 1968 kam es zum Massaker von Mỹ Lai / Sơn Mỹ. Die in der Armee festgelegte Mordquote, der sogenannte „Bodycount“, bildet den Hintergrund für derartige Gräueltaten, denn es wurde den Soldaten ein Soll an Toten pro Einsatz auferlegt um den „Erfolg“ der Operationen zu demonstrieren. Einen großen Anteil an den Opfern in der Zivilbevölkerung durch derartige Gräueltaten hat das CIA-Programm „Phönix“, bei dem etwa 80.000 Menschen aus der Zivilbevölkerung als „vietcong-verdächtig“ eingestuft und knapp die Hälfte von ihnen auch ermordet wurde. Beim Massaker von Mỹ Lai / Sơn Mỹ wird deutlich, was in der Realität die Erfüllung dieser Mordquote zu bedeuten hatte: 502 getötete Dorfbewohner unter denen sich nachweislich kein Mitglied der FNL befand, aber im Bericht der Militäreinheit war von 69 „Vietcong“ die Rede. Dieses Massaker war kein Einzelfall, sondern eher eine „gängige Praxis“ – wie US-Soldaten auch vor Gericht aussagten – aber durch die Anwesenheit zweier Kriegsberichterstatter handelt es sich um den am besten dokumentierten Fall. Die US-Soldaten und –Reporter, die vor Gericht aussagten und den Fall bekannt machten, wurden diffamiert und erhielten Morddrohungen und den Berichten aus Vietnam wurde als „Kommunistenpropaganda“ keine nennenswerte Beachtung geschenkt. Bis heute sind nicht alle Massaker bekannt und aufgearbeitet; die Massaker von denen man weiß – auch wenn sie nicht das gleiche Medieninteresse erfuhren wie Mỹ Lai / Sơn Mỹ – forderten etwa 100.000 Opfer in der Zivilbevölkerung (Feldbauer bezieht sich auf eine Publikation von Bernd Greiner aus dem Jahr 2007). Ein Besuch im „War Remnants Museum“ in Hồ Chí Minh-City führt eindrücklich vor Augen, was bei Feldbauer zu lesen ist. Immer wieder Fotos von GIs die mit den abgeschlagenen Köpfen vietnamesischer Männer und Frauen posieren, Leichenberge, Jugendliche und Kinder in flehenden Positionen vor RSV- und US-Soldaten, die ihnen eine Schusswaffe an den Kopf oder ein Messer an den Hals halten und dazu die Berichte der Kriegsreporter und –fotografen verschiedener Nationalitäten. Sie ähneln sich, erschreckenderweise, alte Menschen die vor Angst starr sind und um ihr Leben flehen, kaltblütig erschossen, Kinder mit Gewehrkolben zu Tode geprügelt. Es fällt nicht schwer, sich hierbei an die Gräueltaten der SS in der Sowjetunion erinnert zu fühlen.

Ebenfalls im Sommer 1968 wurden durch Daniel Ellsberg und Anthony Russo die Zustände und Foltermethoden im südvietnamesischen Konzentrationslager auf der Insel Côn Đảo / Côn Sơn bekannt gemacht (siehe hierzu auch Teil 1) unter denen über 10.000 inhaftierte Menschen zu leiden hatten. Ellsberg und Russo gehörten einer Delegation der US-Regierung an die die Lager besichtigen sollte, zu den Trakten in denen gefoltert wurde – dort existierten auch die berüchtigten Tigerkäfige – wollte man sie nicht führen. Durch eine Karte, die ein ehemaliger Gefangener angefertigt und ihnen über die Widerstandsbewegung zugespielt hatte, gelangten sie zum entsprechenden Bereich und konnten dort die Misshandlung sogar mit Fotos dokumentieren. Da sie Angehörige der US-Delegation waren, verwehrte man ihnen den Zugang nicht (Bericht und Interview über den Besuch sind ebenfalls im „War Remnants Museum“ zugänglich). Nach Schätzungen von Amnesty International gab es im letzten Drittel des Krieges um die 300.000 politische Gefangene in Südvietnam, die alle in ähnlichen Lagern inhaftiert waren (vgl. Feldbauer S.87).

Im November 1968 wurde von der FNL in den von ihr kontrollierten Gebieten die Republik Südvietnam (RSV) ausgerufen um an den in Paris beginnenden Friedensverhandlungen zwischen der DRV, den USA und der RVN (Republik Vietnam) als vierte Partei teilnehmen zu können. Der Verlauf der Verhandlungen ist eng verknüpft mit dem Bombardement der DRV durch die USA. Parallel dazu erklärte die FNL in den Pariser Friedensgesprächen, dass US-Einheiten, die nicht das Feuer eröffneten, nicht beschossen würden. Dies trug dazu bei, dass der Widerstand in der US-Armee Aufwind bekam, denn daraufhin trugen die GIs teilweise rote Armbinden als Zeichen ihrer Sympathie mit der FNL. Zwischen 1966 und 1972 zählte man in den US-Streitkräften über 400.000 Desertionen. Dementsprechend konstatierte das „Armed Forces Journal“ im Juni 1971:

„Moral, Disziplin und Kampfbereitschaft der US-Streitkräfte befinden sich mit einigen wenigen herausragenden Ausnahmen auf einem Tiefpunkt und in einem schlimmeren Zustand als jemals zuvor in diesem Jahrhundert, vielleicht sogar in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Nach jedem nur denkbaren Maßstab steht unsere Armee, die sich jetzt noch in Vietnam aufhält, vor dem Zusammenbruch. Ganze Einheiten weichen dem Einsatz aus oder verweigern ihn, sie ermorden ihre Offiziere und Unteroffiziere, sind drogensüchtig und mutlos oder stehen kurz vor der Meuterei.“ (zit. n. Feldbauer S.107)

Es ist offensichtlich, dass die tägliche Brutalität nicht an den Soldaten vorbei ging, dieser Komplex ist für die US-Soldaten inzwischen gut erforscht und seit einigen Jahren gewinnen bei dieser Erforschung auch immer mehr die rassistischen Momente der Rekrutierungspraxis und Strukturen der Armee an Bedeutung (Feldbauer verweist hierzu auf Jonathan Neales Publikation von 2004 „Der amerikanische Krieg. Vietnam 1960-1975“ sowie auf den aus dem Jahr 2003 stammenden Sammelband herausgegeben von Dieter Brünn „Widerstand in der US-Arme.).

1969 verkündete die US-Administration die „Vietnamisierung“ des Krieges als Reaktion auf Proteste und insbesondere auf den Widerstand in den Reihen der Soldaten. Damit war der Beginn des US-Truppenabzuges aus Vietnam zwar eingeleitet und bis 1972 wurden 300.000 Mann abgezogen, jedoch wurde im selben Zeitraum die Armee der RVN auf ca. 1,2 Mio. (!) Soldaten Truppenstärke erhöht und es verblieben weiterhin etwa 200.000 US-Soldaten im Land. D.h. das Ende des Krieges war damit noch in keinster Weise absehbar. Die USA spekulierten auf eine Schwächung des vietnamesischen Widerstandes durch den Tod Hồ Chí Minhs im September 1969. Diese trat jedoch nicht ein und die Versorgung der Kämpfer im Süden wurde weiterhin über den sogenannten Tod Hồ Chí Minh-Pfad, einer vom Dschungel bedeckten Betonstraße entlang der laotischen Grenze, sichergestellt. Auf dieser Transportroute waren auch viele Soldatinnen der DRV und Befreiungsarmee im Einsatz (in der Dauerausstellung des Women’s museum Hà Nội ist diese Beteiligung gut dokumentiert, leider ist die Dokumentation bisher nicht in Buchform zugänglich).

Im Jahr 1971 zeigte man sich, über verschiedene Kräfte in der Republik Vietnam (RVN) hinweg, verhandlungsbereit eine Art Einheitsregierung mit der kürzlich ausgerufenen Republik Südvietnam (RSV) zu bilden, das Südvietnamesische Regime und die USA lehnten dies jedoch ab und so setzten sich die Kämpfe fort und im April 1972 kam es zu einer weiteren Offensive der Befreiungsarmee. Im Januar 1973 kamen die Pariser Friedensverhandlungen zumindest mit den USA zum Abschluss, diese unterzeichneten das Abkommen zur Beendigung des Krieges und erklärten den Abzug ihrer Truppen aus Vietnam. Etwa 58.000 US-Soldaten waren in Vietnam gestorben, nochmal so viele nahmen sich in den Jahren nach ihrer Rückkehr aufgrund der unbewältigten Traumata das Leben. Die Zahl der Versehrten, die der Krieg hinterließ ist nicht genau bekannt.

Seit 1973 war die Republik Vietnam (RVN) die Partei, die gegen die RSV – unterstützt durch DRV – Krieg führte, da diese die Abkommen ablehnten. Dies verschärfte die Situation der Bevölkerung erneut, wie etwa an dem Napalmangriff der südvietnamesischen Armee auf das Dorf Trảng Bàng abzulesen ist. Aus diesem Angriff stammt auch das bekannte Foto des nackten Mädchens, das aus seinem brennenden Dorf flieht. Eine weitere Verschärfung machte sich auch bei den Repressionsmaßnahmen der südvietnamesischen Regierung bemerkbar, denn 1973 drohte Präsident Nguyễn Văn Thiệu „Neutralisten und Kommunisten“ mit dem Tod. Es kam zu erneuten Festnahmewellen, bei denen etwa 60.000 Menschen verhaftet wurden. Die Verhafteten fanden sich teilweise in den Straf- und Konzentrationslagern Südvietnams wieder und wurden als Geiseln gehalten, mit denen ihre Familien und die Widerstandsbewegung erpresst wurden.

Weitere Verhandlungen zur Bildung einer Koalitionsregierung aller südvietnamesischen Kräfte scheiterten in den Jahren 1974 und 75. Am 25. März 1975, konnte die Befreiungsarmee Huế kampflos einnehmen, da die Regierungstruppen in Panik nach Đà Nẵng geflohen waren und alles, selbst ihre Stiefel, auf dem Weg zurückgelassen hatten. Im April wurde Dương Văn Minh als neuer Präsident eingesetzt, da Nguyễn Văn Thiệu sich nach Taiwan abgesetzt hatte. Dương Văn Minh unterzeichnete am 30. April 1975 die Kapitulation und übergab die Geschäfte an die provisorische Regierung der von der FNL ausgerufenen Republik Südvietnam (RSV). Die Evakuierungsszenen im Sài Gòn der letzten Kriegstage, werden oft allzu unbedarft als humanitärer Akt gedeutet, tatsächlich aber wurden vom Dach der US-Botschaft hauptsächlich US-Militärs und CIA-Agenten, das Botschaftspersonal und etliche hohe Mitglieder des südvietnamesischen Regimes evakuiert. Die übrigen etwa 130.000 Vietnamesen, die sich zuvor für den Erhalt der Republik Vietnam auf unterschiedliche Weise eingesetzt hatte, wurden von den einstigen Verbündeten zurück gelassen.

Literatur:

Gerhard Feldbauer: „Vietnamkrieg“ Köln, 2013. PapyRossa-Verlag.

Ly Ba Toan et. al.: „Hoa Lo Prison. Historical Relic“ Hanoi, 2013. Hongduc Publishing House.

Andreas Margara: „Der Amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam.“ Berlin, 2012. regioSpecta-Verlag.