Vietnam: Der Kampf um das „Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit“ Teil 2.2

Durch die veränderte Art Berichterstattung, die im Verlaufe des Krieges zunehmend kritischer wurde und über Fernsehbilder auch eine breitere Schicht der Bevölkerung in den USA und Europa erreichte, wurde auch eine Öffentlichkeit für den Widerstand gegen den Krieg ebendort geschaffen. Dieser Abschnitt beschäftigt sich zum einen mit dem öffentlichen Protest gegen den Krieg, dem Widerstand in der Armee, weiterhin den Kriegsverbrechen und schließlich der Endphase des Krieges bis zum Kriegsende 1975. In einem dritten Teil sollen die Auswirkungen des Krieges bis heute und die Erinnerungspolitiken betrachtet werden. Zunächst jedoch soll der Blick auf den öffentlichen Protest gerichtet werden.

Teil 2.2

Bereits im März 1965, mit dem Einsatz der ersten US-amerikanischen Bodentruppen in Südvietnam, gab es schon erste Großdemonstrationen gegen den Krieg in Washington, an denen bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Im April 1967 fanden mit insgesamt knapp einer Million Teilnehmer in New York und San Francisco die größten Antikriegsdemonstrationen statt. Ebenfalls wichtig für die Mobilisierung der Antikriegsbewegung war das sogenannten Russell-Tribunals (nach dem Initiator Bertrand Russell). Im Mai 1967 fand dessen erste Sitzung in Stockholm statt. Zu den Mitorganisatoren gehörten auch Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, auch Peter Weiss war ein Mitglied des Gremiums. Das Tribunal stellte in dieser und seiner zweiten Sitzung im November/Dezember in Roskilde fest, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Krieg und um ein Kriegsverbrechen handelte. Ebenfalls stellte das Tribunal fest, dass fast eine Mio. Hektar Ackerland bis dahin durch Agent Orange verseucht wurden. Bis 1971 wurden 72 Mio. Liter Gift versprüht, von diesem Gifteinsatz waren 17 Mio. Menschen betroffen. Die nachfolgenden Generationen, die davon noch immer betroffen sind, sind in dieser Zahl nicht einmal berücksichtigt. Beteiligt an Giftproduktion waren auch die deutschen Konzerne BASF und der IG-Farben-Nachfolger Farbwerke Höchst. Die Kontinuität der Konzerne über die NS-Zeit hin in die BRD setzte sich auch bei den Zulieferungen und damit der indirekten Beteiligung am Krieg und den Kriegsverbrechen in Vietnam fort. 1965 waren sogar Bundeswehrsoldaten der Luftwaffe gegen die Vietnamesen im Einsatz. Auch verurteilte deutsche Kriegsverbrecher wie Otto Ambros, der durch seine Forschungen bereits an den Morden in Auschwitz beteiligt war, entwickelten für den Einsatz in Vietnam chemische Kampfstoffe weiter. In Zentralvietnam wurden Agent Orange und auch Napalm nahezu flächendeckend eingesetzt, dies hat verheerende Auswirkungen bis heute:

„In der während des Amerikanischen Krieges intensiv umkämpften Provinz Quang Tri, durch die mit dem 17. Breitengrad die ehemalige Trennungslinie zwischen Nord und Süd verläuft, sind noch immer knapp 100.000 Hektar Land von Minen, Bomben und Granaten verseucht. Zwischen 1975 und 2000 sind dort nicht weniger als 8.500 [!] Personen durch Restmunition gestorben – darunter etwa 7.000 Kinder. […] Der Alltag inmitten der verminten Felder von Quang Tri ist demnach weiterhin von den Kriegsfolgen bestimmt und macht die Überwindung der Armut in diesem Gebiet nahezu unmöglich.“ (Margara, S.19)

Das Jahr 1968 ist wohl das mit den meisten Todesopfern unter den US-Soldaten. Bereits zu Beginn des Jahres wurde, mit der Tet-Offensive, der Kampf seitens der FNL auf die Städte ausgeweitet. Es kam zu Straßenkämpfen in Huế und Sài Gòn. Die Offensive war aus Sicht der Befreiungsarmee durchaus erfolgreich, da 14 Stützpunkte der südvietnamesischen Armee kapitulierten. Als Konsequenz aus dem militärischen Erfolg der Befreiungsarmee folgte die erneute Brutalisierung des Bodenkrieges auf südvietnamesischer bzw. US-amerikanischer Seite. Am 16. März 1968 kam es zum Massaker von Mỹ Lai / Sơn Mỹ. Die in der Armee festgelegte Mordquote, der sogenannte „Bodycount“, bildet den Hintergrund für derartige Gräueltaten, denn es wurde den Soldaten ein Soll an Toten pro Einsatz auferlegt um den „Erfolg“ der Operationen zu demonstrieren. Einen großen Anteil an den Opfern in der Zivilbevölkerung durch derartige Gräueltaten hat das CIA-Programm „Phönix“, bei dem etwa 80.000 Menschen aus der Zivilbevölkerung als „vietcong-verdächtig“ eingestuft und knapp die Hälfte von ihnen auch ermordet wurde. Beim Massaker von Mỹ Lai / Sơn Mỹ wird deutlich, was in der Realität die Erfüllung dieser Mordquote zu bedeuten hatte: 502 getötete Dorfbewohner unter denen sich nachweislich kein Mitglied der FNL befand, aber im Bericht der Militäreinheit war von 69 „Vietcong“ die Rede. Dieses Massaker war kein Einzelfall, sondern eher eine „gängige Praxis“ – wie US-Soldaten auch vor Gericht aussagten – aber durch die Anwesenheit zweier Kriegsberichterstatter handelt es sich um den am besten dokumentierten Fall. Die US-Soldaten und –Reporter, die vor Gericht aussagten und den Fall bekannt machten, wurden diffamiert und erhielten Morddrohungen und den Berichten aus Vietnam wurde als „Kommunistenpropaganda“ keine nennenswerte Beachtung geschenkt. Bis heute sind nicht alle Massaker bekannt und aufgearbeitet; die Massaker von denen man weiß – auch wenn sie nicht das gleiche Medieninteresse erfuhren wie Mỹ Lai / Sơn Mỹ – forderten etwa 100.000 Opfer in der Zivilbevölkerung (Feldbauer bezieht sich auf eine Publikation von Bernd Greiner aus dem Jahr 2007). Ein Besuch im „War Remnants Museum“ in Hồ Chí Minh-City führt eindrücklich vor Augen, was bei Feldbauer zu lesen ist. Immer wieder Fotos von GIs die mit den abgeschlagenen Köpfen vietnamesischer Männer und Frauen posieren, Leichenberge, Jugendliche und Kinder in flehenden Positionen vor RSV- und US-Soldaten, die ihnen eine Schusswaffe an den Kopf oder ein Messer an den Hals halten und dazu die Berichte der Kriegsreporter und –fotografen verschiedener Nationalitäten. Sie ähneln sich, erschreckenderweise, alte Menschen die vor Angst starr sind und um ihr Leben flehen, kaltblütig erschossen, Kinder mit Gewehrkolben zu Tode geprügelt. Es fällt nicht schwer, sich hierbei an die Gräueltaten der SS in der Sowjetunion erinnert zu fühlen.

Ebenfalls im Sommer 1968 wurden durch Daniel Ellsberg und Anthony Russo die Zustände und Foltermethoden im südvietnamesischen Konzentrationslager auf der Insel Côn Đảo / Côn Sơn bekannt gemacht (siehe hierzu auch Teil 1) unter denen über 10.000 inhaftierte Menschen zu leiden hatten. Ellsberg und Russo gehörten einer Delegation der US-Regierung an die die Lager besichtigen sollte, zu den Trakten in denen gefoltert wurde – dort existierten auch die berüchtigten Tigerkäfige – wollte man sie nicht führen. Durch eine Karte, die ein ehemaliger Gefangener angefertigt und ihnen über die Widerstandsbewegung zugespielt hatte, gelangten sie zum entsprechenden Bereich und konnten dort die Misshandlung sogar mit Fotos dokumentieren. Da sie Angehörige der US-Delegation waren, verwehrte man ihnen den Zugang nicht (Bericht und Interview über den Besuch sind ebenfalls im „War Remnants Museum“ zugänglich). Nach Schätzungen von Amnesty International gab es im letzten Drittel des Krieges um die 300.000 politische Gefangene in Südvietnam, die alle in ähnlichen Lagern inhaftiert waren (vgl. Feldbauer S.87).

Im November 1968 wurde von der FNL in den von ihr kontrollierten Gebieten die Republik Südvietnam (RSV) ausgerufen um an den in Paris beginnenden Friedensverhandlungen zwischen der DRV, den USA und der RVN (Republik Vietnam) als vierte Partei teilnehmen zu können. Der Verlauf der Verhandlungen ist eng verknüpft mit dem Bombardement der DRV durch die USA. Parallel dazu erklärte die FNL in den Pariser Friedensgesprächen, dass US-Einheiten, die nicht das Feuer eröffneten, nicht beschossen würden. Dies trug dazu bei, dass der Widerstand in der US-Armee Aufwind bekam, denn daraufhin trugen die GIs teilweise rote Armbinden als Zeichen ihrer Sympathie mit der FNL. Zwischen 1966 und 1972 zählte man in den US-Streitkräften über 400.000 Desertionen. Dementsprechend konstatierte das „Armed Forces Journal“ im Juni 1971:

„Moral, Disziplin und Kampfbereitschaft der US-Streitkräfte befinden sich mit einigen wenigen herausragenden Ausnahmen auf einem Tiefpunkt und in einem schlimmeren Zustand als jemals zuvor in diesem Jahrhundert, vielleicht sogar in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Nach jedem nur denkbaren Maßstab steht unsere Armee, die sich jetzt noch in Vietnam aufhält, vor dem Zusammenbruch. Ganze Einheiten weichen dem Einsatz aus oder verweigern ihn, sie ermorden ihre Offiziere und Unteroffiziere, sind drogensüchtig und mutlos oder stehen kurz vor der Meuterei.“ (zit. n. Feldbauer S.107)

Es ist offensichtlich, dass die tägliche Brutalität nicht an den Soldaten vorbei ging, dieser Komplex ist für die US-Soldaten inzwischen gut erforscht und seit einigen Jahren gewinnen bei dieser Erforschung auch immer mehr die rassistischen Momente der Rekrutierungspraxis und Strukturen der Armee an Bedeutung (Feldbauer verweist hierzu auf Jonathan Neales Publikation von 2004 „Der amerikanische Krieg. Vietnam 1960-1975“ sowie auf den aus dem Jahr 2003 stammenden Sammelband herausgegeben von Dieter Brünn „Widerstand in der US-Arme.).

1969 verkündete die US-Administration die „Vietnamisierung“ des Krieges als Reaktion auf Proteste und insbesondere auf den Widerstand in den Reihen der Soldaten. Damit war der Beginn des US-Truppenabzuges aus Vietnam zwar eingeleitet und bis 1972 wurden 300.000 Mann abgezogen, jedoch wurde im selben Zeitraum die Armee der RVN auf ca. 1,2 Mio. (!) Soldaten Truppenstärke erhöht und es verblieben weiterhin etwa 200.000 US-Soldaten im Land. D.h. das Ende des Krieges war damit noch in keinster Weise absehbar. Die USA spekulierten auf eine Schwächung des vietnamesischen Widerstandes durch den Tod Hồ Chí Minhs im September 1969. Diese trat jedoch nicht ein und die Versorgung der Kämpfer im Süden wurde weiterhin über den sogenannten Tod Hồ Chí Minh-Pfad, einer vom Dschungel bedeckten Betonstraße entlang der laotischen Grenze, sichergestellt. Auf dieser Transportroute waren auch viele Soldatinnen der DRV und Befreiungsarmee im Einsatz (in der Dauerausstellung des Women’s museum Hà Nội ist diese Beteiligung gut dokumentiert, leider ist die Dokumentation bisher nicht in Buchform zugänglich).

Im Jahr 1971 zeigte man sich, über verschiedene Kräfte in der Republik Vietnam (RVN) hinweg, verhandlungsbereit eine Art Einheitsregierung mit der kürzlich ausgerufenen Republik Südvietnam (RSV) zu bilden, das Südvietnamesische Regime und die USA lehnten dies jedoch ab und so setzten sich die Kämpfe fort und im April 1972 kam es zu einer weiteren Offensive der Befreiungsarmee. Im Januar 1973 kamen die Pariser Friedensverhandlungen zumindest mit den USA zum Abschluss, diese unterzeichneten das Abkommen zur Beendigung des Krieges und erklärten den Abzug ihrer Truppen aus Vietnam. Etwa 58.000 US-Soldaten waren in Vietnam gestorben, nochmal so viele nahmen sich in den Jahren nach ihrer Rückkehr aufgrund der unbewältigten Traumata das Leben. Die Zahl der Versehrten, die der Krieg hinterließ ist nicht genau bekannt.

Seit 1973 war die Republik Vietnam (RVN) die Partei, die gegen die RSV – unterstützt durch DRV – Krieg führte, da diese die Abkommen ablehnten. Dies verschärfte die Situation der Bevölkerung erneut, wie etwa an dem Napalmangriff der südvietnamesischen Armee auf das Dorf Trảng Bàng abzulesen ist. Aus diesem Angriff stammt auch das bekannte Foto des nackten Mädchens, das aus seinem brennenden Dorf flieht. Eine weitere Verschärfung machte sich auch bei den Repressionsmaßnahmen der südvietnamesischen Regierung bemerkbar, denn 1973 drohte Präsident Nguyễn Văn Thiệu „Neutralisten und Kommunisten“ mit dem Tod. Es kam zu erneuten Festnahmewellen, bei denen etwa 60.000 Menschen verhaftet wurden. Die Verhafteten fanden sich teilweise in den Straf- und Konzentrationslagern Südvietnams wieder und wurden als Geiseln gehalten, mit denen ihre Familien und die Widerstandsbewegung erpresst wurden.

Weitere Verhandlungen zur Bildung einer Koalitionsregierung aller südvietnamesischen Kräfte scheiterten in den Jahren 1974 und 75. Am 25. März 1975, konnte die Befreiungsarmee Huế kampflos einnehmen, da die Regierungstruppen in Panik nach Đà Nẵng geflohen waren und alles, selbst ihre Stiefel, auf dem Weg zurückgelassen hatten. Im April wurde Dương Văn Minh als neuer Präsident eingesetzt, da Nguyễn Văn Thiệu sich nach Taiwan abgesetzt hatte. Dương Văn Minh unterzeichnete am 30. April 1975 die Kapitulation und übergab die Geschäfte an die provisorische Regierung der von der FNL ausgerufenen Republik Südvietnam (RSV). Die Evakuierungsszenen im Sài Gòn der letzten Kriegstage, werden oft allzu unbedarft als humanitärer Akt gedeutet, tatsächlich aber wurden vom Dach der US-Botschaft hauptsächlich US-Militärs und CIA-Agenten, das Botschaftspersonal und etliche hohe Mitglieder des südvietnamesischen Regimes evakuiert. Die übrigen etwa 130.000 Vietnamesen, die sich zuvor für den Erhalt der Republik Vietnam auf unterschiedliche Weise eingesetzt hatte, wurden von den einstigen Verbündeten zurück gelassen.

Literatur:

Gerhard Feldbauer: „Vietnamkrieg“ Köln, 2013. PapyRossa-Verlag.

Ly Ba Toan et. al.: „Hoa Lo Prison. Historical Relic“ Hanoi, 2013. Hongduc Publishing House.

Andreas Margara: „Der Amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam.“ Berlin, 2012. regioSpecta-Verlag.

Vietnam: Der Kampf um das „Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit“ Teil 2.1

Mit dem Sieg über die Franzosen und dem, in gewisser Hinsicht unbefriedigenden, Ergebnis der Indochina-Abkommen lässt sich der Anfang der „amerikanischen Periode“ des vietnamesischen Befreiungskampfes markieren. Vorab noch ein Wort zu dem Problem gut dokumentierte Fakten und tradierte Bilder, die USA betreffend, bei diesem Thema zusammenzubringen: Es regt sich ein gewisser Widerstand, aller Belege zum Trotz, die USA – die mit der Sowjetunion gemeinsam – schließlich Europa von der Nazi-Herrschaft befreit hatten, nun als kriegsverbrecherischen Akteur in einem menschenverachtenden und ausschließlich ideologisch motiverten Krieg wahrzunehmen. Diese beiden Seiten der Medaille sind, schwer zusammenzubringen aber Bestandteil der Geschichte. Auf die Verwicklungen der bundesdeutschen Wirtschaft (insbesondere des IG-Farben-Nachfolgers Höchst) in den Krieg gegen die Vietnamesen wird noch einzugehen sein. Da die verschiedenen relevanten thematischen Bereich, die zum Komplex des Krieges gehören, nicht alle gleichzeitig in chronologischer Reihenfolge dargestellt werden können, untergliedert sich der inhaltlich zweite Teil in weitere Unterkapitel. Im Teil 2.1 wird der Beginn der Diệm-Herrschaft im Süden und der damit verbundene Aufbau des Widerstandes gegen das Regime erörtert. Hieran anknüpfend folgte die Intervention der USA im Süden und schließlich auch der Luftkrieg gegen den nordvietnamesischen Staat. Mit diesem ersten Bestandteil wäre etwa ein Zeitraum zwischen 1954 und 1965 dargestellt. Die Zeit bis zum Kriegsende 1975 folgt dann im Teil 2.2 des Artikels und wird sich dann insbesondere mit den Kriegsverbrechen, etwa am Beispiel Mỹ Lai / Sơn Mỹ, dem Giftgaseinsatz und dem Protest und Widerstand gegen den Krieg beschäftigen.

Teil 2.1

Mit der Intervention der USA begann gleichzeitig eine Brutalisierung des täglichen Lebens im Süden und dann mit den offensichtlichen Kriegshandlungen auch eine Brutalisierung des Krieges, die mit großflächigen Bombardements und Gifteinsatz einen großen Teil der vietnamesischen Bevölkerung betraf. Das zweigeteilte Land war in verschiedener Weise und Etappen von den Entwicklungen nach 1954 betroffen. Während für die Demokratische Republik Vietnam (DRV) im Norden der Krieg erst mit den US-amerikanischen Luftangriffen 1964 begann, verschärfte sich die Lage für die Bevölkerung der Republik Südvietnam (RSV) im Süden bereits mit dem Machtantritt von Ngô Đình Diệm.

Zugegebenermaßen scheint die wesentliche politische Entwicklung in Südvietnam nach 1954 zunächst etwas undurchsichtig, insbesondere wenn man die Vereinbarungen der Genfer Abkommen als Wegweiser für eine mögliche Entwicklung heranzieht. Dort waren für das Jahr 1956 freie und geheime Wahlen für ganz Vietnam vorgesehen. Die KP mit ihrem Vorsitzenden Hồ Chí Minh hätte diese vermutlich auch gewonnen (vgl. Feldbauer S.26, der die New York Herald Tribune des Jahres 1955 zitiert), da die kommunistische Idee großen Anklang in der Bevölkerung fand. Ngô Đình Diệm, der nach 1945 in die USA emigriert war und sich dort als Antikommunist bei der politischen Elite hervortat, wurde schließlich von den USA zunächst als Präsident eingesetzt – anders lässt sich dieser Vorgang kaum bezeichnen – und in manipulierten Wahlen 1955 – mit zum Teil 135% Zustimmung – zum Präsidenten gewählt.

Dieses Vorgehen war möglich, da die USA mit dem SEATO (dem Pendant zur NATO) Vietnam bereits 1954 zu ihrem „Schutzgebiet“ erklärt hatten. Das autoritäre Diêm-Regime rief von Beginn an Widerstand hervor und bereits 1955 waren etwa 50.000 Menschen wegen des Verdachtes auf oppositionelle Tätigkeiten (!) inhaftiert. Das Regime stützte sich auf die reaktionäre katholische Minderheit des Kleinbürgertums, die Großgrundbesitzer und nicht zuletzt auf seine – durch US-Gelder subventionierten – Bajonette.

Es ging den verschiedenen US-Administrationen also bei ihrer Intervention von Beginn an um die Zerschlagung jeglicher Befreiungsbewegung und insbesondere darum die ideologische Vorherrschaft in Asien zu sichern:

„Einschätzungen von Experten aus dem Pentagon zufolge musste Südvietnam militärisch unterstützt werden, damit es nicht als wiedervereinigtes Vietnam an den kommunistischen Machtblock unter Hegemonie der Sowjetunion fallen und als erster von vielen ‚umstürzenden Dominios‘ noch weitere asiatische Länder zu Fall bringen würde.“ (Margara, 2012. S.13)

Diese Unterstützung beinhaltete zunächst den Aufbau von 46 Stützpunkten der US-Army in Südvietnam, von denen Sài Gòn und Đà Nẵng die bedeutendsten waren. In Südostasien hatten die USA insgesamt etwa 220.000 Soldaten stationiert, durch die SEATO war ein Bündnissystem zustande gekommen, welches die US-Streitkräfte später unterstützen sollte, die eigenen Truppen und Polizeieinheiten der südvietnamesischen Diktatur waren 1963 auf 500.000 angewachsen. Der Unterdrückungsapparat verfolgte nicht nur vermeintliche Sozialisten oder Kommunisten und Menschen die die Einhaltung der Genfer Abkommen einforderten (wie etwa zahllose Intellektuelle, die sich im „Saigoner Friedenskomitee“ engagierten), sondern auch Vietnamesen, die gegen die Franzosen gekämpft hatten wurden verfolgt und mit zunehmender Schärfe auch Buddhisten. Aus den unterschiedlichsten Strömungen des Widerstandes formte sich 1960 die nationale Befreiungsbewegung FNL (Front national de Libération) in der die Kommunisten – im Gegensatz zum durch die USA propagierten Bild der „Vietcong“ – eine Minderheit darstellten. Die erklärten Hauptziele der FNL orientierten sich an den Genfer Abkommen und beinhalteten den Aufbau eines unabhängigen, demokratischen, südvietnamesischen Staates und die Normalisierung der Beziehungen zu Nordvietnam mit der Perspektive auf eine „friedliche Wiedervereinigung“.

Erst mit dem Verlust vieler Mitglieder durch den Folterapparat des Diệm-Regimes entschloss sich die FNL 1961 zum bewaffneten Widerstand als eine nationale Befreiungsarmee. Gegen die FNL wurde bereits im August 1961 das erste Mal das Giftgas „Agent Orange“ eingesetzt, das in den USA zu diesem Zeitpunkt als Herbizid, wegen seiner verheerenden Wirkung auf Mensch und Umwelt, bereits verboten war.

Die Befreiungsarmee wurde ab 1963 auch durch die Demokratische Republik Vietnam unterstützt. Dies hatte für die Bevölkerung im Allgemeinen erneute Repressionen zufolge, jedoch war auch in diesem Klima überhaupt erst eine breitere Protestbewegung ermöglicht worden. Im Juni 1963 verbrannte sich der Mönch Thích Quảng Đức aus Protest gegen die Unterdrückung, diese Bilder gingen um die Welt und machten den Menschen über die Medien erstmals bewusst, dass es in Südvietnam eine „politische Schieflage“ gab. Bei anschließenden Massendemonstrationen in Huế eröffnete die Regierungsarmee das Feuer und tötete sieben Menschen. Es kam zu weiteren Demonstrationen, als Konsequenz verhängte Ngô Đình Diệm das Kriegsrecht bevor es nach weiteren Selbstverbrennungen von Mönchen und Nonnen zu einem Militärputsch kam, bei dem auch Ngô Đình Diệm umgebracht wurde.

Da die Regierungsarmee der Militärdiktatur es nicht vermochte dem, inzwischen auch durch Nordvietnam unterstützten, Widerstand der FNL und der Befreiungsarmee Einhalt zu gebieten, griffen die USA ab 30. Juli 1964 auch die DRV im Norden an. Tatsächlich folgte die Kriegseskalation einem Plan, dem zur Rechtfertigung des Kriegseinsatzes der US-Streitkräfte im gesamten Vietnam vor der Öffentlichkeit die sogenannte „Tonking-Provokation“ voraus ging. US-Kriegsschiffe griffen zur DRV gehörende Inseln im Golf von Tonking an, gegenüber der Öffentlichkeit wurde dies jedoch so dargestellt, dass Nordvietnam die Kriegsschiffe der USA in internationalen Gewässern angegriffen habe und man sich seitens der USA lediglich verteidigt habe. In einer Senatsuntersuchung im Jahr 1968 wurde aufgedeckt, dass die verdrehte Darstellung beabsichtigt war um einen Luftkrieg gegen Nordvietnam zu rechtfertigen, der ohne offizielle Kriegserklärung und völkerrechtswidrig erfolgte. Nach Feldbauer enthüllte der Spiegel bereits Ende 1965, dass der Krieg seitens der US-Strategen von Beginn an nicht allein gegen militärische Ziele gerichtet war. In einer ersten Stufe sollten tatsächlich militärische Ziele angegriffen werden, in der zweiten Stufe sollten Infrastruktur und Schwerindustrie zerstört und schließlich in der dritten Stufe der Großraum Hà Nội bombardiert werden. D.h. erklärtes Ziel der dritten Stufe war bereits allein die Ermordung der Zivilbevölkerung. Für diese Ziele wurden zwischen 1965 und 1968 knapp 2,6 mio. Tonnen (!) Bomben abgeworfen: „Das war eine weit größere Menge als die USA insgesamt während des Zweiten Weltkrieges eingesetzt hatten.“ (S. 48). Insgesamt waren unter den Kriegszerstörungen in Nordvietnam nur 12 Prozent militärischer Ziele gewesen. Ab 1965 konnte der nordvietnamesische Staat auf MiG 21 Jagdflugzeuge aus der Sowjetunion zu seiner Verteidigung zugreifen, mit der besseren Ausstattung zur Abwehr konnten noch höhere Opferzahlen in der Bevölkerung vermieden werden. Der Vorschlag aus den Blockstaaten eine Art „Internationale Brigaden“, mit Freiwilligen wie im spanischen Bürgerkrieg, ins Leben zu rufen wurde von der Staatsführung der DRV jedoch mehrfach abgelehnt. Die vietnamesischen Piloten wurden in der Sowjetunion ausgebildet und waren in etwa 200 Jagdflugzeugen im Einsatz, demgegenüber stehen über 8000 Jagdflugzeuge und Hubschrauber der US-Airforce, die insgesamt während des Krieges in Vietnam abgeschossen wurden. Über die Anzahl der beim Abschuss getöteten US-Soldaten gibt es bis heute keine verlässlichen Zahlen, ein Umstand der Geheimhaltungspolitik aller kriegsführenden Parteien zuzuschreiben ist. Der Mangel an verlässlichen Zahlen besteht im Übrigen auch für die Gesamtzahl aller vietnamesischen Opfer, gleich ob Zivilbevölkerung oder Soldaten. Die Schätzungen der Opferzahlen aller Beteiligten reichen von 1,5 bis 6 Mio., wobei davon auszugehen ist, dass die niedrigeren Angaben die Opfer von Folter und Gifteinsatz, die erst nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen gestorben bzw. geboren sind nicht berücksichtigen. Vielfach, als objektive und neutrale Quelle, zitiert wird der US-amerikanische Historiker Rudolph Rummel, dessen Perspektive auf die Geschehnisse allerdings nicht „neutral“ sondern problematisch ist, da er selbst in 1960er Jahren Militärberater der US-Streitkräfte war. Schließlich stellten die USA im November 1968 die Luftangriffe auf Nordvietnam ein um sie, mit der dann drohenden Niederlage im Süden, schließlich Dezember 1972 fortzusetzen wobei die Hafenstadt Hải Phòng fast völlig zerstört wurde. Endgültig eingestellt wurden die Luftangriffe schließlich 1973.

Literatur:

Gerhard Feldbauer: „Vietnamkrieg“ Köln, 2013. PapyRossa-Verlag.

Ly Ba Toan et. al.: „Hoa Lo Prison. Historical Relic“ Hanoi, 2013. Hongduc Publishing House.

Andreas Margara: „Der Amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam.“ Berlin, 2012. regioSpecta-Verlag.

Neokolonialismus? Eine Vorschau

Nach einigen Wochen des Reisens, voller Eindrücke und Gespräche, packt mich angesichts der Überheblichkeit so vieler Touristen ein Groll. Egal, woher sie kommen, vielfach spielen sie sich auf wie die einstigen Kolonialherren. Das gilt leider auch für so manchen Autor von Reiseführern. Da wird die künstlerische Auseinandersetzung der Vietnamesen, mit dem ihnen aufgezwungenen Krieg, leichtfertig als „propagandistische Kunst“ abgestempelt. Angesichts der Tatsache, dass noch immer viele der tödlichen Chemikalien den Boden verseuchen und die Vietnamesen der nächsten Generationen auch noch gezwungen sind, sich mit den Kriegsschäden zu beschäftigen, finde ich eine solche Haltung geradezu zynisch.
In den nächsten Wochen sollen ausführliche Beiträge zu den hier angeschnittenen Themen folgen…